Auswahl der Predigten von Pater Ezekiel Oko


Predigt zum 23. Sonntag im Jahreskreis Lesejahr: B

Effata! Tu dich auf!

Er hörte nichts. Und wenn er etwas sagen wollte, konnte er nur stammeln. Das berichtet Markus über den Taubstummen, dem Jesus im heutigen Evangelium begegnet ist. Er war für Worte unempfänglich. Auch wenn er etwas sagen wollte, konnte er es nicht. Seine Situation erinnert mich an meine Schwierigkeiten Deutsch zu lernen. Eine Situation, in der ich taub und stumm geworden war. Ich hörte viele Worte, die um mich herum gesprochen wurden, Gespräche, die den Rednern viel bedeuteten, für deren Bedeutung ich aber unempfänglich war. Da habe ich wirklich erlebt, was Einsamkeit bedeutet: in einer Welt abgesondert zu sein, wo es kaum noch eine Verbindung mit den anderen gibt. Denn eine Verbindung kann es nur dann geben, wenn der Sinn nicht nur vermittelt, sondern auch verstanden wird.

Ja, Worte schenken Sinn! Man wird allerdings taub, wenn man den Sinn des gesprochenen Wortes nicht verstehen kann; und stumm, wenn man durch Worte keinen Sinn wirklichen vermitteln kann, auch wenn man spricht. Wir leben in einer Welt, wo viele Menschen taub und stumm geworden sind. Nicht, weil sie nicht mehr hören oder sprechen können, sondern, weil sie sich gegenüber dem Sinn des Lebens verschlossen haben. Sie haben den Sinn verloren und können ihn nicht mehr finden. Sie hören nichts, was ihnen den Sinn wiederschenken könnte. Und sie vermögen es nicht, den anderen einen Sinn zu vermitteln. Denn man kann nichts geben, was man nicht hat.

Liebe Schwestern und Brüder, niemals in der Geschichte der Menschheit haben die Menschen so viel gesprochen wie heute, doch niemals hatte alles so wenig Sinn wie heute. Die Medien werden immer vielfältiger, bunter und lauter, aber vermitteln immer weniger Sinn. Die Welt ist voller Worte, aber was wird dadurch vermittelt? Da hören wir kaum Worte, die uns gegenseitig aufbauen; Worte, die Hoffnung schenken; Worte, die Bindungen unterstützen; Worte, die Mut machen für das Gute. Und das Ergebnis? Viele Dinge brechen zusammen; sinnvolle Bindungen, die einmal verbindlich waren, gehen auseinander; Kulturen verlieren ihre Werte; Familien brechen auseinander, usw. Ich sehe die Bilder aus Afghanistan und bin ganz kleinlaut. Ich frage mich, warum lassen wir jetzt viele Menschen alleine zurück, die einmal große Hoffnungen auf uns gesetzt haben? Ich finde keine Antwort darauf, außer, dass wir vielleicht den Sinn der Sache aus dem Blick verloren haben.

Oft ist es so, dass die Dinge ihren Sinn nicht verlieren, sondern, dass der Mensch gegenüber dem Sinn dieser Dinge unempfänglich geworden ist. Dann braucht er die Dinge nicht aufzugeben, sondern er muss sich nur  dem Sinn neu öffnen. Éffata! Das sagt uns Jesus heute. Öffne dich! Tu dich auf! Genau das brauchen wir. Es klingt wie ein Zauberwort, ist aber keines. Es ist das ermutigende, aufrichtende Wort, das Mut macht und Sinn schenkt. Ein Wort, das viel bewirken kann, wenn auch wir das sprechen. Es ist das Wort, das eine Mutter spricht, wenn sie ihr Kind lockt, das die ersten Schritte wagt, und lächelnd sagt, „Komm!“. Es ist das Wort, das der Opa sagt, wenn er seiner Enkelin das Radfahren beibringt: „Komm, du schaffst das schon, mach weiter!“. Immer wieder sagen wir dieses Wort, ohne zu wissen, wie kräftig es im Leben des anderen wirkt. In diesem Wort steckt eine so große Gewissheit, dass Ohren und Zungen zu singen anfangen. Denn dadurch gewinnt man den verloren gegangenen Sinn wieder.

Liebe Schwestern und Brüder, Jesaja ermuntert uns, das Wort häufiger zu sagen: „Sagt den Verzagten: Seid stark, fürchtet euch nicht! Seht, euer Gott! Dann werden die Augen der Blinden aufgetan, auch die Ohren der Tauben werden geöffnet. Dann springt der Lahme wie ein Hirsch, die Zunge des Stummen frohlockt.“



Evangelium vom 23. Sonntag im Jahreskreis im Lesejahr B