Auswahl der Predigten von Pater Ezekiel Oko


Predigt zum 7. Sonntag im Jahreskreis Lesejahr: B

Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde

Liebe Schwestern und Brüder, die Hauptbotschaft der heutigen Lesungen ist, dass wir zu Gott gehören und daher heilig sind. Heiligsein (hagios auf Griechisch) bedeutet eigentlich „Gott abgesondert sein“ oder „Gott geweiht sein“ Das, was Gott abgesondert bzw. geweiht ist, gehört zu Gott. Das drückt unsere Identität als Kinder Gottes aus. Diese Identität gewährt uns nicht nur Privilegien, sie stellt auch bestimmte Anforderungen an uns. Manchmal scheinen diese Anforderungen sogar zu hoch zu sein. Ein Beispiel davon ist unter anderem „Feindesliebe“.

„Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen. …“ heißt es im Evangelium. (Mt 5, 43-45) Feindesliebe ist für viele Menschen nicht nur unrealistisch und unmöglich, sondern auch Täterfreundlich. Wie kann man seine Feinde lieben? Ist das nicht Dummheit?

Feindesliebe ist sicher nicht einfach zu verstehen. Aber darin versteckt eine Weisheit, die nicht nur befreit, sondern auch bekräftigt. Wollen wir gemeinsam schauen, worin die Weisheit liegt. Beginnen wir vielleicht mit der Frage: „Was bedeutet Feindesliebe für mich?“ „Was verstehe ich darunter?“ Meine persönliche Antwort darauf ist: Feindschaft nicht mit Feindschaft entgegnen. Das kann auch Verzicht auf Hass, Gewalt und Rache Feindschaft gegenüber bedeuten. Feindesliebe liegt einen großen Wert an Vergebung, die aus Liebe kommt.

Ich habe einmal ein Buch mit dem Titel „Die Macht des Vergebens“ gelesen. Es ist eine Autobiographie einer Frau, Eva Mozes Kor. In seiner Geschichte finde ich eine Perspektive der Feindesliebe, die ich mit euch teilen möchte.

Eva Mozes Kor hätte allen Grund zu hassen, weil ihre Familie in Auschwitz vom Nazi ausgelöscht wurde. Sie und ihre Zwillingsschwester Miriam haben die Situation überlebt, trotz vieler grausamen medizinischen Versuche an ihnen. Eva Mozes aber sagt:

„Ich habe den Nazis vergeben! … Ich habe allen Nazis vergeben, nicht, weil sie es verdient hätten, sondern weil ich es verdient habe. Ich fand heraus, dass wenn ich ihnen vergebe, hebt sich der Last des Schmerzens von meinem Schultern und ich erhielt auch meine Unabhängigkeit, Freiheit und meine Kraft zurück. Damit meine ich, dass ich Macht über mein eigenes Leben habe. Und ich fand heraus, dass ich diese einzelne Macht hatte: zu vergeben.“ Sie meinte, Vergebung gewähre einem die Kraft, die entlastet und heilt.

Eva Mozes Kor wollte sich nicht zum zweiten Mal zum Opfer machen lassen, so könnte man sagen. Es reicht, was die Nazis ihr und ihrer Schwestern angetan haben. Durch die Vergebung hat sie es geschafft, sich selbst die tägliche Last von Schmerz und Wut von ihren Schultern zu nehmen. Sie wollte sich dadurch nicht ihr Leben zerstören und ihre Identität nehmen lassen. Und das wäre geschehen, wenn sie ihr Leben in Schmerz, Hass und Wut verbracht hätte. Ja, so ist es: Hass und Wut zerstören nie das Leben des anderen, des Feindes, sondern zerfressen die eigene Seele, die eigene Identität.

Der Mensch, der Feind meines Lebens war, kann schon längst gestorben sein. Aber durch meinen Hass, durch meine Wut bekommt ihre Feindschaft täglich neue Nahrung und lebt so in mir weiter. Und das will ich nicht. Das habe ich nicht verdient. So viel Macht will ich ihm über mein Leben nicht geben. Das war die Erkenntnis von Eva Moses Kor.

Liebe Schwestern und Brüder, nicht so sehr den Feind muss man bekämpfen, den Hass muss man bekämpfen. Gegen ihn gibt es nur ein wirksames Mittel: Die Vergebung! Ein Mittel, das nicht nur den Hass der Feinde überwinden kann, sondern auch ein schmerzvolles Erleiden des eigenen Hasses, der eigenen Wut, vermeiden kann.

Wenn es heute im Evangelium heißt, dass wir unsere Feinde lieben sollen, dann geht es weniger um die Feinde und vielmehr um uns selbst. Das müssen wir uns bewusst machen. Als Kinder Gottes kennen wir eine Perspektive der Wahrheit, die uns auffordert, zu lieben. Hass gehört nicht zu unserer Identität; wir können das gar nicht geben, was wir nicht haben. Wir sind Gottes Tempel, in dem der Geist Gottes ist. Gottes Kinder, die vollkommen sein sollen, wie ihr himmlischer Vater. Wir lassen uns nicht von Hass und Wut herrschen, sondern von Heiligen Geist erfüllen! Um seine Hilfe bitten wir.



Evangelium vom 7. Sonntag im Jahreskreis im Lesejahr B