Auswahl der Predigten von Pater Ezekiel Oko


Predigt zum 2. Sonntag der Fastenzeit Lesejahr: B

Der Blick auf das Ganze

Wir Menschen suchen nach Sicherheit; unser Leben braucht den Anker: Verlässlichkeit. Leider fehlt uns das manchmal. Wir verzweifeln an der Zukunft, wenn die Realität, die wir im Moment wahrnehmen können, uns keine Sicherheit verspricht. Vielleicht liegt das Problem nicht nur an der Realität selbst, sondern an einem fehlenden Weitblick.

"Reicht meine Wahrnehmungsfähigkeit überhaupt aus, um die ganze Realität meiner Situation zu sehen?" Oder: "Fehlt mir vielleicht der Blick für das Ganze?" Das sind dann wichtige Fragen, die es wert sind, beantwortet zu werden, wenn mir das Gefühl der Sicherheit fehlt, wenn ich an der Zukunft verzweifle!

Jesus erzählt seinen Jüngern, dass er den Tod erleiden muss. Diese Auskunft über den bedrohlichen Tod löst Unsicherheit und Verzweiflung in Herzen der Jünger aus. Sie wollen ihre Zukunft versichert wissen. Petrus nimmt Jesus beiseite und beginnt ihn zurechtzuweisen (Vgl. Mk 8,31-33). Es ist als, ob er Jesus sagt: „Hör auf mit diesem Unsinn! Das verunsichert unsere Zukunft!“

In diesem Zusammenhang bitten auch Jakobus und Johannes Jesus: „Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst. …. Lass in deiner Herrlichkeit einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen!“ (Mk 10,35-37). Auch sie wollen ihre Zukunft gesichert wissen.

Die Jünger Jesu fühlen sich also wegen der Ankündigung des bevorstehenden Tod Jesu verunsichert. Sie verzweifeln an ihre Zukunft mit Jesus. Diese Verzweiflung liegt aber daran, dass sie das Gesamtbild noch nicht wahrnehmen können. Sie brauchen ein Verklärungserlebnis, einen Blick auf das Ganze. Deswegen führt Jesus sie auf den Berg. Petrus, Johannes und Jakobus sind als Vertreter der Jünger mit Jesus auf diesem Berg.

Da erfahren sie, dass Jesus nicht einfach ein elender Mensch ist, der von Bedrängnissen hin und her verworfen wird, sondern Gottes Sohn mit himmlischer Pracht verbunden mit sicherster Tradition der Propheten und des ewigen Bündnisses mit Gott. Sie erhalten den Blick auf das Ganze, der ihnen die Glaubwürdigkeit Jesu verdeutlicht und den Sinn der Nachfolge Jesu offenbart. Denn die Jünger merken, dass es in seiner Erzählung nicht nur um seinen bevorstehenden Tod geht. Nein! Es geht auch um seine Auferstehung.

Was geht uns das an? Was bedeutet diese Geschichte für uns? Ich würde zunächst einmal antworten: Die Österliche Bußzeit hilft uns, das Ganze in Blick zu halten. Sie zielt auf Ostern ab. Auch wenn viel über das Leiden und Tod Christi gesprochen und betrachtet wird, bleibt das Ziel die Auferstehung Jesu. Zusammen mit Leiden und Tod bildet seine Auferstehung ein Ganzes, das wir im Blick behalten müssen.

Außer dieser liturgischen Bedeutung kann die Geschichte von der Verzweiflung der Jünger und ihrer Erfahrung mit der Verklärung Jesu auch unsere Geschichte als Christen sein. Manchmal verzweifeln wir an der Zukunft, weil wir das Ganze noch nicht sehen oder verstehen können. Wenn wir vielleicht nur die bedrohlichen prekären Situationen unserer Welt und unseres Lebens sehen oder wahrnehmen können, wenn das aus dem Gesamtbild herausgerissen und allein zur Beurteilung unseres Lebens und unserer Zukunft herangezogen wird, dann beginnen wir die Hoffnung zu verlieren und sehen keine Möglichkeit, dass die Dinge besser werden.  

Das passiert, liebe Schwestern und Brüder, wenn man zum Beispiel vom Arzt erfährt, dass man eine unheilbare Krankheit hat und beginnt, sein Leben nur noch im Hinblick auf die Krankheit zu interpretieren. Dann verliert man die Hoffnung, dass die Zukunft noch etwas Gutes versprechen kann. Diese Verzweiflung macht die Situation schlimmer und das hilft nicht. Um dies Problem zu lösen, ist ein Blick auf das Ganze sehr wichtig! …

Ein Blick auf das Ganze! Wie kann das geschehen? Das lernen wir aus den Geschichten, die uns in den heutigen Lesungen erzählt werden: Die Geschichte Abrahams in der ersten Lesung, also die Geschichte eines Mannes, der in eine unsichere Zukunft gehen konnte, weil er Gottvertrauen hatte. Er konnte nicht nur die unsichere Zukunft wahrnehmen. Er behielt den Blick auch auf die Leitung Gottes.

In der Geschichte der Verklärung Jesu begegnet uns zwei Personen – Mose und Elija. Obwohl er anfangs an seiner Fähigkeit zweifelte, gelang es Mose, die Israeliten durch die Wüste ins verheißene Land zu führen. Das Vertrauen in seiner Fähigkeit allein wäre zur Erfüllung dieser Aufgabe nicht ausreichend gewesen. Auch er hatte Gottvertrauen. In seinen Kämpfen gegen gottlose Könige und falsche Propheten konnte Elija durchhalten, weil er Gottes Beistand erfahren durfte.

Liebe Schwestern und Brüder, das Vertrauen in Gott vervollständigt unseren Blick auf die Realität des Lebens. Wie die Jünger Jesu, die, als sie die Stimme des Vaters hörten und das verklärte Antlitz Jesu sahen, die Rückkehr der Geborgenheit erlebten, wollen wir die bedrohlichen Situationen unseres Lebens und unserer Welt zu Gott bringen. Das Vertrauen in ihm macht das Bild vollständiger.



Evangelium vom 2. Sonntag der Fastenzeit im Lesejahr B