Auswahl der Predigten von Pater Ezekiel Oko


Predigt zum 27. Sonntag im Jahreskreis Lesejahr: B

Gesetz ist kein Ersatz für Liebe

Liebe Schwestern und Brüder, immer öfter beobachten wir, dass gesellschaftliche Grundfragen von den Höchsten Gerichten geklärt werden müssen. Dabei entsteht der Eindruck, dass es in unserem Zusammenleben vor allem um Gesetze geht. Es schadet aber unseren Beziehungen im menschlichen Miteinander, wenn wir bloß unseren Nächsten respektieren und ihm Recht geben, weil es in den Paragrafen des Gesetzes so geregelt ist.

Die Antwort Jesu im heutigen Evangelium auf die Streitfrage nach der Ehescheidung zeigt, dass es in unserem Umgang miteinander um viel mehr geht als um Gesetze. Es geht in menschlichen Beziehungen um mehr als um einen Kontrakt, den man beliebig schließen und auflösen kann. Es geht um Liebe. Jesus meint deswegen, dass wir uns nicht völlig auf Gesetze verlassen sollten. Sie können und sollen natürlich Ordnung schaffen. Aber, wenn in deren Anwendung Erbarmen und Nachsichtigkeit fehlen, beeinträchtigen sie sogar ihre Ziele: ein gutes gemeinschaftliches Leben und eine bessere Annäherung im Miteinander der Menschen in gelingenden Beziehungen.

Jesus weist auf die Hartherzigkeit und Unnachsichtigkeit des Gebots der Ehescheidung hin: „Nur weil ihr so hartherzig seid, hat Mose euch dieses Gebot gegeben“ sagt Er und damit ruft Er anschließend in Erinnerung, worum es in der Ehe eigentlich geht: Die beiden werden eins sein in der Liebe (Gen 2,24). Anstelle eines solchen Gebots sollte in der Ehe Liebe herrschen. Gebote und Gesetze können die Liebe nicht ersetzen. Sie können aber die Liebe widerspiegeln, wenn sie aus Liebe und Vertrauen entstehen und mit Erbarmen und Nachsicht angewendet werden.

Aus Liebe hat Adam seine Frau als „Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“ anerkannt. In diesen Worten drückte er sein Bewusstsein von der Gleichwertigkeit der Menschen aus. Nur Liebe kann der Ehe und jeder Beziehung einen Halt geben. Liebe schaut auf die Würde des anderen und geht mit ihm respektvoll und geduldig um. Liebe strebt nicht nach persönlichem Gewinn, sondern sehnt sich mit Erbarmen nach Gerechtigkeit und überlegt nachsichtig ihre Konsequenzen für das Leben miteinander.

Was bedeutet das nun für uns, die wir hier in diesem Gottesdienst versammelt sind? Es gibt viele Missverständnisse und Probleme in Beziehungen, im Zusammenleben miteinander, in unseren Familien, in unserer Gesellschaft, die wir durch Liebe vermeiden, verbessern oder mindestens minimieren können als durch Gesetze bzw. durch einen Gerichtsentscheid. Die Anwendung der Gesetze kann nicht der erste Schritt sein, wenn wir einander als Menschen, zwar mit Fehlern und Schwächen behaftet, begegnen, deren Würde aber unantastbar ist und bleibt. Mit einer solchen Haltung können wir bei jedem Problem versuchen, respektvoll miteinander zu reden und gemeinsam eine Lösung zu finden. Dadurch wird das Vertrauen nicht nur in unseren Beziehungen wachsen, sondern auch in unserem gesellschaftlichen Miteinander.

Mein Priesterfreund erzählte mir vor drei Wochen von seiner Erfahrung mit einem Autohändler. An seinem gebraucht gekauften Auto war ein paar Monate danach ein Defekt aufgetaucht. Er wollte für den Umgang mit diesem Problem das Gewährleistungspaket des Autos in Anspruch nehmen. Dabei hatte er die Wahl, den Händler über das Problem zu informieren, entweder durch einen formalen gesetzlich erforderlichen Brief (der sogar durch einen Anwalt unterschrieben werden kann) oder mit ihm einfach über das Problem zu reden und gemeinsam einen Ausweg zu finden. Er wählte die letztere Option und redete mit dem Händler freundlich über die Sache. Sie fanden gemeinsam eine Lösung und nach einer Woche war sein Auto wieder da und funktionierte wieder gut.

Warum erzähle ich diese Geschichte? Der Händler fragte meinen Freund am Ende: „Wer sind Sie?“ Warum wollte er mehr über meinen Freund wissen? Er war von seinem Umgang mit ihm in dieser Situation sehr tief beeindruckt, und meinte, er sei anders als viele andere Menschen. Diese Geschichte hat mich sehr tief berührt. Ein freundlicher Umgang mit einem Mitmenschen ist ein Zeugnis des Glaubens geworden und hat den Verkäufer und den Käufer zu Freunden gemacht. Liebe Schwestern und Brüder, wir können in unserem Umgang miteinander durch Liebe und Respekt viel mehr erreichen als durch Gesetze und Gerichte.



Evangelium vom 27. Sonntag im Jahreskreis im Lesejahr B