Auswahl der Predigten von Pater Ezekiel Oko


Predigt zum 20. Sonntag im Jahreskreis Lesejahr: B

Ãœber den Bund (das Recht) hinaus!

Liebe Schwestern und Brüder, manchmal stoßen wir auf Ablehnung, weil die andere Person meint, wir hätten kein Recht, Ansprüche an sie und ihre Zeit zu stellen. Damit meinen sie, dass es nicht ihre Aufgabe ist, unser Problem zu lösen, dass wir oder unsere Situation nicht in ihren Zuständigkeitsbereich gehören. Es kommt überall vor, dass Menschen abgewiesen oder ausgeschlossen werden, manchmal diplomatisch und bürokratisch, manchmal offensichtlich und direkt, weil sie keinen Rechtsanspruch auf das haben, was sie verlangen.

Das passiert, wenn ich mich weigere, dem anderen zuzuhören, weil ich der Meinung bin - vielleicht aus rechtlichen Gründen -, dass sein Problem mich nichts angeht oder dass er kein Recht auf das hat, worum er bittet - auf meine Zeit, auf meine Hilfe, auf meinen Rat -, dass er nicht in meinen Zuständigkeitsbereich gehört. Ja, rechtlich gesehen kann man etwas nur einfordern, wenn man das Recht dazu hat.

Es ist gut, dass wir unsere Aufgaben und Pflichten gut kennen und dass wir das Recht der andere respektieren. Es dient auch der Ordnung in der Welt und hilft gesellschaftlichem Leben, wenn jeder seinen Aufgaben und Pflichten treu ist.

Aber in den heutigen Lesungen wird gezeigt, dass Gott uns gegenüber nicht nur rechtlich handelt, sondern dass er uns auch über unser Recht hinaus – also über seinen Bund hinaus – mit seiner Barmherzigkeit entgegenkommt. Er kümmert sich nicht nur um diejenigen, mit denen er einen Bund geschlossen hat, sondern auch um alle Menschen, die um sein Erbarmen bitten. Er ist da für alle!

Jeder von uns, jeder Mensch, trägt in sich den Wunsch, dass es jemanden gibt, der uns annimmt, der Ja zu uns sagt, der uns Verständnis und Zuwendung schenkt, nicht nur, wenn uns ihre Aufmerksamkeit zusteht, sondern weil wir ihre Hilfe brauchen. Offen, oder heimlich laufen wir immer wieder hinter einem Menschen her mit der lauten, oder stummen Bitte: Hab Erbarmen mit mir; hab Zeit für mich; versteh mich doch!

In dieser Sehnsucht sind wir alle mit der kananäischen Frau verwandt. Sie will von Jesus Erbarmen, obwohl sie nicht in den Zuständigkeitsbereich Jesu gehörte. Denn, wie Jesus erklärt, „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.“

Aber die Frau hatte das Vertrauen, dass sie bei Jesus trotzdem Barmherzigkeit finden würde. Ihr Vertrauen wird bis aufs Äußerste strapaziert. Die Jünger wollten die Frau wegschicken, weil sie ein Ärgernis war, und auch Jesus selbst distanzierte sich zunächst von ihr, weil sie nicht zum auserwählten Volk der Juden gehörte. Aber weil sie nicht losließ und so viel Vertrauen in Jesus setzte, machte Jesus dann seinerseits deutlich: Gottes Barmherzigkeit kennt letztlich keine Grenzen.

An dieser Stelle geschieht das Entscheidende der ganzen Geschichte, also die Frohe Botschaft: dass Gott überhaupt niemanden im Stich lässt, der sich ihm anvertraut, auch jene nicht, die in unseren Augen zu den Nichtgläubigen gehören.

Das bedeutet für uns auch: ob jemand zur Kirche gehört, oder außer ihr steht, ob er sich offiziell oder nur heimlich zum Glauben bekennt oder einfach nur auf der Suche ist – jeder Mensch, der auf seine ganz persönliche Weise bittet, oder auch nur stammelt: „Erbarme dich meiner, Herr", jeder Mensch, der sich Gott anvertraut, findet bei ihm Gehör. Gott ist derjenige, der jedem Verständnis und Zuwendung schenkt.

Das heutige Evangelium will uns Mut machen für unser Vertrauen in Gott, für ein Vertrauen ohne Berechnung und ohne Vorbehalte. Aber darüber hinaus will es auch unseren Sinn dafür schärfen, dass es uns nicht zusteht, uns anderen gegenüber abzugrenzen, einfach weil sie uns lästig, weil sie anders sind, weil sie nicht zu unserem Volk gehören, oder weil wir meinen, die hätten den falschen Gott, oder glaubten gar nichts. Vielleicht bitten die viel echter als wir: „Hab Erbarmen, Herr“, so wie die Frau aus Kana es viel echter tat als die Jünger.

Der Test, ob wir uns wirklich Gott anvertrauen, zeigt sich gerade darin, ob wir solches Vertrauen auch jenen Menschen entgegen bringen, die anders sind als wir, anders in Herkunft, in Rasse, in Religion. Niemand darf im Namen Gottes ausgegrenzt werden. Diese großzügige Geste können wir auch in anderen Bereichen des Alltags umsetzen, wenn wir bewusst auch denen Verständnis und Aufmerksamkeit entgegenbringen, die rechtlich gesehen keinen Anspruch auf unsere Zeit und Hilfe haben!



Evangelium vom 20. Sonntag im Jahreskreis im Lesejahr B